Versuch einer Jungs-Geschichte über HipHop und Revolte

 

Mir ist ein Foto in die Hände geraten. Ein Schwarzweißbild. Darauf zu sehen: fünf Jungen zwischen acht und elf Jahren. Sie tragen Schlaghosen. Zwei von ihnen haben sich Kapuzen über den Kopf gezogen. Einer trägt Handschuhe. Es muss kalt sein. Ein Anderer trägt die Jacke offen. Seine Tolle reicht ihm über das rechte Auge. In seinem Gesicht ein leichtes Grinsen, überlegen. Ein Arm ruht auf der Schulter seines Freundes. Der hat die Hände in den Taschen, die Jacke ist zugeknöpft. Gesenkte Augenlider, leicht geöffneter Mund: Er wirkt ernst. Schweigsam. Vielleicht jemand, der nicht viel sagt, aber wenn er spricht, hört man ihm zu. Die Jungen schreiten mit sicheren Schritten auf die Kamera zu. Rechts im Hintergrund ist die Straße zu sehen. Vermutlich die Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg. In der Hausfassade links, Risse und Brüche. Weiße Stellen auf dem Fassadengrau. An einigen Stellen ist der Putz vollständig zerstört, tritt das Skelett des Hauses hervor. Weit hinten eine Gestalt, von der kaum zu sagen ist, ob sie auf die Kamera zukommt oder sich von ihr entfernt. Dahinter endet die Sicht. Ein Nebel mit Flecken, die Menschen sein könnten. Keine Bäume. Auf den Wänden: keine Tags, keine Graffitis. Noch nicht.

Etwas beginnt. Oder wird nach gewaltsamer Unterbrechung fortgeführt. Oder verwandelt sich. Die Geschichte wird neu geschrieben. Oder weiter geschrieben. Die fünf Jungen laufen mit sicheren Schritten auf etwas zu, das wir nicht sehen. Sehen sie es?

Zerstörung, Trümmer, Wiederaufbau. Die Menschen sind erschöpft. Und in einer Straße, um die sich niemand schert, die scheinbar bedeutungslos ist, wachsen Protagonisten einer neuen Zeit heran. (…)

 

Revolte der Stimmlosen

 

Nach stundenlanger Arbeit im Kreuzberg Museum muss ich feststellen, dass vom Leben in der Naunynstraße nur wenig festgehalten ist. Die Dame aus dem Archiv sagt: »Kreuzberg war immer das Viertel der kleinen Leute, und niemand interessiert sich für die kleinen Leute.« Ihre Geschichten zählen nicht.

Mit wenigen neuen Informationen, aber dafür einigen Bildern in der Tasche, darunter das der fünf schreitenden Jungen, mache ich mich auf den Weg in die NaunynRitze. Als Ritze bezeichnete man in Berlin während und nach der Industrialisierung im 19. Jahrhundert Straßen in sehr armen Gegenden, wo linke Arbeiterinnen und Arbeiter wohnten. Zunächst als Schule gegründet, gehörte die NaunynRitze später zur Blindenanstalt in der Oranienstraße und wurde bald nach dem Zweiten Weltkrieg als Jugend- und Kulturzentrum genutzt. Im Archiv der NaunynRitze finde ich ganze Ordner mit Artikeln zu ›Jugendbanden‹ aus den achtziger und neunziger Jahren, den ›Streetgangs‹, wie sie damals in den Medien hießen. Als ich die Sozialarbeiterin, die mir das Archiv geöffnet hatte, darum bitte, einiges davon zu kopieren, verzieht sie das Gesicht. »Diese verlogenen Artikel haben doch schon genug Schaden angerichtet«, sagt sie. Die aus den Zeitungen und Magazinen kopierten Fotos sprechen für sich: Jugendliche mit Baseballschlägern in der Hand, mit Butterfly- und Springmessern, mit Schlagringen, in die Kamera grinsend. Aus den Artikeln ist Angst zu lesen. Etwas geschieht, aber was eigentlich? Verwandeln die ›Türkenkinder‹ Kreuzberg in die Bronx? Darf sich die Polizei bald nicht mehr in die Naunynstraße trauen? Worauf haben wir uns da nur eingelassen! Die BZ berichtete sogar von Handgranaten und Pistolen, die in die Futter der Jacken genäht sein sollten. »Ey Mann, da war nix mit Handgranaten oder Pistolen. Wir hatten nicht mal Messer. Aber wir waren bei den Interviews cool. Haben nur Mist erzählt, eben was [die Journalisten] hören wollten. Wir waren die Größten.« So zitierte die Berliner Zeitung den Regisseur und Pädagogen Neco Çelik 1998 in diesem Zusammenhang. Es war Necos Freundeskreis aus der Naunynstraße in den achtziger Jahren, der mit dem Namen Die Thirty-Sixer bekannt und in den Medien als gefährliche und gewalttätige Jugendbande mystifiziert wurde.

Berlin-Kreuzberg, gleich anderen Vierteln, in denen ein hoher Anteil an migrantischen Arbeitern wohnte, geriet zur großen Ausnahme einer scheinbar friedlichen Nation. Zur verstimmten quietschenden Geige in einem Orchester. Kaum jemand dachte darüber nach, ob der ungewohnt klingende Ton – allzu schnell als störende Ausnahme abgestempelt – nicht vielleicht etwas war, das Veränderung mit sich brachte, Neues schuf. Eine Blue Note. Das migrantische Kreuzberg, damals geographisch wie soziokulturell Teil einer urbanen Peripherie, zeichnete sich, wie Peripherien im Allgemeinen, durch ein Paradox aus: wenig oder gar nicht beachtet zu werden, deshalb kaum eine Stimme zu haben und keine Bedeutung zugemessen zu bekommen. Gleichzeitig findet sozialer Wandel oft eben dort seinen Ausgangspunkt. Die Revolte der Stimmlosen.

Das Mauerviertel Kreuzberg wurde nicht erst durch die Arbeitsmigration der sechziger und siebziger Jahre zur soziokulturellen Peripherie. Die Logik wirkt andersherum: Migrantische Arbeiterinnen und Arbeiter hatten es nicht einfach, wenn sie aus den Wohnheimen in Mietwohnungen ziehen wollten, z.B. weil die Familie nachgekommen war. Die Stadtverwaltung schrieb ihnen Stadtteile vor. Ein Stempel im Pass gab an, wo gewohnt werden durfte und wo nicht. Hausverwaltungen setzten sie als so genannte ›Abrissmieter‹ ein, was bedeutete, so lange in heruntergekommenen Wohnungen leben zu müssen, bis diese unbewohnbar waren und abgerissen oder restauriert wurden. War das der Fall, zogen die Familien in die nächste Trümmerwohnung, bis man auch diese abriss.

Kreuzberg war schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein Arbeiterviertel. Die Kinder, die gut einhundert Jahre später dort zur Welt kamen, erfuhren ihre Sozialisation in einem der alteingesessensten deutschen Arbeiterbezirke. So vermutlich auch die fünf Jungen auf dem Foto. Ich stelle mir vor, dass sie die Stimmung, die einem solchen Bezirk anhaftet, aufsogen. Aufgewachsen im soziokulturellen Kontext eines Landes, in dem bisher noch jede Revolte scheitern musste, in dem gegen jede Form der ›Ausnahme‹ mit höchster Gewalt vorgegangen wurde, atmeten die Jugendlichen den Frust niedergeschlagener Rebellionen ein. Wie müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Naunynstraße vor Aufregung getobt haben, als Karl Liebknecht 1918 vom Berliner Stadtschloss aus die sozialistische Republik ausrief! Wenige Monate später, in den Wochen nach dem 15. Januar 1919, als Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet waren, stellte sich in der Naunynstraße Totenstille ein.

Eine solche Stille ist vererbbar. Sie liegt in den Mauern, Steinen und Straßen; in den Altbauten auf der Ostseite der Naunynstraße, die von vergangenen Zeiten, und in den Neubauten auf der gegenüberliegenden Seite, die von Zerstörung und Wiederaufbau zeugen. Die Arbeiterinnen, eingereist aus der Türkei, brachten ihre eigene Stille mit. Ihr Schweigen – eines, das sich in Mündern festsetzt, denen das Sprechen untersagt ist – mischte sich mit der Stille ihrer Empfänger in der Naunynstraße. In dieser Stille wuchsen die Kinder der ersten und zweiten Generation nach der Migration auf. Und wurden laut.

Das Medienzeitalter hatte gerade begonnen und eine Virtualisierung von Protest spätestens seit dem Vietnamkrieg seine Kraft gezeigt. Die Reden Martin Luther Kings wurden auch in Deutschland vernommen. Wobei, unbemerkt vom Mainstream, die Kinder der migrantischen Arbeiterinnen zu einer Jugend heranwuchsen, die spürte, dass die Schwarzen Aufstände dort etwas mit dem Leben hier zu tun hatten – nur ein Gefühl vielleicht, eine unbewusste Identifikation. Die Jugend in Kreuzberg orientierte sich – teils bewusst, teils unbewusst – an dem, was ihr aus der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung bekannt war. So hieß eine der Crews, von den Medien als ›Streetgangs‹ oder ›Jugendbanden‹ bezeichnet, wohl nicht zufällig ›Black Panthers‹. Die amerikanische Black Panther Party, von Schwarzen US-Amerikaner_innen in den sechziger Jahren gegründet, trat mit Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen Polizeigewalt, Armut, Diskriminierung und für die Rechte von Schwarzen Menschen ein. Freiheit und Selbstbestimmung, Beschäftigung, menschenwürdige Wohnungen, ein reformiertes Bildungssystem waren Forderungen der Black Panthers  – Ansprüche, die auch in Kreuzberg oder im Wedding in Berlin ihre Geltung hatten. (…)

Von einer ›Widerstandsbewegung‹, vergleichbar der in Afroamerika, oder einer gezielten ideologischen Motivation zu sprechen, wäre sicher nicht richtig: Die Kreuzberger und Weddinger Jugend Ende der achtziger Jahre und später war in der Regel nicht bewusst politisch. (…)

Das Fühlen einer großen Ungerechtigkeit, ohne diese unbedingt intellektuell fassen zu können, und die Notwendigkeit, sich schützen zu müssen, weil staatliche Autoritäten daran scheiterten, führte Ende der siebziger Jahre zur Formierung jugendlicher Gruppen, die diesen Schutz selbst in die Hand nahmen. Das Gewaltpotential, einmal entwickelt und ohne theoretischen Rahmen, ohne gesellschaftspolitische Ambitionen, ohne Manifest, verstärkt durch eine – sonst so rare – Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit, sollte sich später auch an Nicht-Nazis und selbst an jenen Menschen entladen, die das eigene Schicksal teilten. Als die jüngeren Brüder in den achtziger Jahren heranwuchsen, wurde Kreuzberg zunehmend als ›Problemviertel‹ stigmatisiert. Arbeitslosigkeit und eine ausschließende Bildungspolitik führten mehr und mehr dazu, dass viele Jugendliche die von älteren Geschwistern geschaffenen Strukturen eher gegen die eigene Langeweile einsetzten, als sich gegen Nazis zu engagieren. Zur gleichen Zeit kamen Filme auf den Markt, die Gangs aus den USA zunehmend als Sensation präsentierten. Der Streifen Warriors von 1979 über Gangs in New York City war einer der ersten dieser Art. Auch die widerständigen Elemente innerhalb der Rap-Musik, vertreten etwa durch Public Enemy, wurden auf dem Musikmarkt, insbesondere Anfang der 90er Jahre, verstärkt marginalisiert. Mit zunehmender Kommerzialisierung investierten die Labels immer mehr in Gangster-Rap und schufen so neue Vorbilder, die Gewalt, Drogen und Prostitution als erstrebenswert deklarierten.

Und doch: Eine intuitive Subversion haftete den jugendlichen Gruppen an. Immerhin führten sie, weitgehend ausgeschlossen vom Arbeitsmarkt und von Bildung, mit geringsten Mitteln Elemente einer Subkultur in Deutschland nicht nur ein, sondern erfanden sie neu: Elemente des Hip Hop.

 

Maxim und die Regeln des Hip Hop

 

Ich treffe mich mit Neco Çelik im Frühstückscafé in der Adalbertstraße am Kottbusser Tor. »Vieles wurde falsch verstanden, falsch dargestellt. Als sei alles nur Gewalt gewesen. Gangs. Das war das Gegenteil. Wir wären sonst alle krepiert – an Drogen oder Gewalt. Sind ja auch einige krepiert«, sagt er. (…)

Neco erzählt von den Çeteler, den Banden der Älteren. Die trugen Namen wie Volkanlar (Die Vulkane) oder Şimşekler (Die Blitze). Ihre Mitglieder, Jugendliche, die mit ihren Eltern aus anatolischen Dörfern in die Randbezirke der zerstörten Westberliner Großstadt gezogen waren, hatten mit dem Trauma der Migration zu kämpfen. Neco und die Thirty-Sixer waren keine Migranten, und auch die 36Sisters bestand nicht aus Migrantinnen oder ›Ausländerinnen‹, wie es damals noch hieß. Die zweite Generation gehörte größtenteils einer neuen Unterschicht an, die in Öffentlichkeit und Medien als ›anders‹ kategorisiert wurde. Wenn sie sich in Gruppen zusammenschloss, geschah das aus Trotz, aus Langeweile, aus Schutz. Und weil es cool war.

»Den Namen Thirty-Sixer gab uns Maxim«, erzählt Neco. Laut dem Hip Hop-Magazin Backspin tat er das 1988. Maxim war das Pseudonym von Atilla Murat Aydın, der 1970 in Heidelberg geboren wurde und in Berlin-Lichterfelde aufwuchs. Dort waren bis 1994 US-Truppen in der McNair-Kaserne stationiert. Schwarze Soldaten führten Atilla in die Hip Hop-Kultur ein, von ihnen lernte er B-Boying, Graffiti und Beatboxing. Türkisch wurde bald zu seiner dritten Sprache, die zweite war jetzt Englisch. So geschult ging er nach Kreuzberg, in den Wedding, nach Schöneberg. Sprach mit Jugendlichen. Sagte ihnen, dass sie miteinander nach den Regeln des Hip Hop batteln sollten, wenn sie etwas zu klären hätten.

Es muss ein Hin und Her gewesen sein. Auf der einen Seite die Medien, die Hip Hop-Crews teilweise als gefährliche Straßenbanden kriminalisierten, und Filme, wie Colors von Dennis Hopper (1988), die dieses Klischee bestätigten und den Jugendlichen fragwürdige Vorbilder lieferten. Auf der anderen Seite Prediger des Hip Hop, wie Maxim, und Filme, wie Wild Style von Charlie Ahearn (1983), die andere Botschaften verbreiteten. In einem Interview mit dem Backspin-Magazin (Nr. 84) sagt der Graffiti-Künstler ESO aus der Crew GFA, dass er Hip Hop über Filme wie Beatstreet und Wild Style kennen gelernt hatte. GFA – Glorious Five Artists – ist eine Writer-Crew, die 1987 von Maxim gegründet wurde und noch heute zu einer der besten Europas zählt.

In seiner Studie Cultural Identity of the Turkish Hip-Hop Youth in Kreuzberg kommt [der Soziologe] Ayhan Kaya zu dem Schluss, dass (…) die Kreuzberger Jugend eine neue Kultur entwickelt hat: mit Bezügen erstens zur globalen transnationalen, in erster Linie Schwarzen Kultur, zweitens zu besonderen Figuren aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft sowie drittens zur Kultur Anatoliens, wie sie in ihrer Vorstellungswelt, aus elterlichen Erzählungen und eigenen, zumeist Urlaubserfahrungen konstruiert ist. Das Graffiti-Element des Hip Hop liefert ein anschauliches Beispiel: Die Graffitikunst selbst ist Teil der afro/latinoamerikanischen US-Kultur, die gemalten Figuren oder Texte zitieren jedoch aus dem deutschen Kontext und der imaginierten anatolischen Welt.

Maxim und andere kämpften gemeinsam oder unabhängig voneinander in den Randbezirken, aber auch intellektuell – wie z.B. die Hip Hop-Formation Advanced Chemistry aus Heidelberg – für eine friedliche Kultur der Anerkennung und Ermutigung. Die Kommerzialisierung dieses Kampfes mag anfangs zu einer verstärkten Verbreitung und damit zur Aufklärung über Probleme wie über Errungenschaften bestimmter Gruppen geführt haben. Als Advanced Chemistry ›Fremd im eigenen Land‹ veröffentlichte, war das einer der ersten, wenn nicht sogar der erste, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachte Deutschrap-Song. Kommerzialisierung bedeutet allerdings, dass sich das Gesetz des Marktes mehr und mehr durchsetzt. Es kam, ebenso wie in den USA, zu einem Konflikt zwischen den Werten der Hip Hop-Kultur und dem Diktat des Marktes. Käuferinnen und Käufer – auch die Jugendlichen aus Kreuzberg, aber mehr noch bürgerliche Teenager – wollten bestätigt sehen, was ihnen Medien und Filme vorgaukelten: Gangs und Gewalt.

Atilla Murat Aydın, alias Maxim, wurde am 13. Juni 2003 – auf den Tag genau an seinem 33. Geburtstag – in Berlin-Köpenick von einem deutschen Rentner niedergestochen.

In der Naunynstraße wird noch immer gerapt. In der NaunynRitze, aber auch im Theater gegenüber, wo Necos Stücke aufgeführt werden. Dort befindet sich inzwischen das postmigrantische Theater Ballhaus Naunynstraße. Die deutschtürkische Hip HopKultur wird sicherlich auch weiterhin Einfluss auf Kultur und Wissenschaft von Menschen in Deutschland haben.

Bis hierher lief es noch ganz gut. Es gab Gewalt, es gab Drogen, und es gab Tote. Trotzdem konnte sich eine neue Kultur entfalten, die Früchte trägt. Aber die gesellschaftlichen Ausschlüsse verschärfen sich. Ein Brain-Drain deutschtürkischer Intellektueller findet statt. Neue Feindbilder werden konstruiert. Ja, vielleicht lief es bis hierher noch ganz gut, aber wie es im Film La Haine aus dem Pariser Banlieue St. Denis heißt: Nicht auf den Fall kommt es an, sondern auf die Landung. Es ist wichtig für alle Segmente dieser Gesellschaft, fliegen zu lernen – vor der Landung.

Ich schaue mir noch einmal das Bild mit den fünf Kids an. Viel ist passiert, seit dieses Bild geschossen wurde. Eine neue Naunynstraße ist entstanden. Die Geschichte läuft weiter. Ich frage mich, was aus diesen Kindern geworden ist. Sie müssten jetzt zwischen fünfzig und sechzig sein. Leben sie noch immer in der Naunynstraße? In Berlin? Gehören sie zu den Drogentoten der achtziger Jahre?

»Viele sind gestorben«, sagt Neco, »oder im Knast gelandet.«

Auf was liefen sie zu?

Was war da hinter der Kamera – am Ende ihres Weges?

 

 

Es handelt sich hier um eine gekürzte Fassung des Essays. Die längere Fassung findet sich in:
freitext, Heft 15, „Bis hierher lief’s noch ganz gut“, April 2010 und
Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.) „Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk“, Unrast Verlag, Münster, 2011