»Nicht das Gewicht der Welt erhöht sich, es ist die eigene Tragkraft, die sich verringert.«

 

 

Gegen Morgen – seit dem 9. September 2019 erhältlich als Hardcover
Fernsehbeitrag: NDR Kulturjournal
Lesung mit Karosh Taha beim globale-Literaturfestival in Bremen, 2020: online
Cover Gegen Morgen

Über das Buch

Als Kara von Berlin nach Frankfurt fliegt, gerät das Flugzeug in ein schweres Gewitter. Im Angesicht des drohenden Absturzes scheint plötzlich Ramón wenige Reihen vor ihm zu sitzen. Ramón, der nie eingeladen war und trotzdem immer kam, der bei Kara und Karas bestem Freund Vince auf dem Sofa in der Küche übernachtete, bis er von einem Tag auf den anderen verschwand. Nach der Notlandung kehrt Kara ruhelos nach Berlin zurück, wo er sich auf die Suche nach Ramón begibt und damit auf die Spuren seiner eigenen Vergangenheit. Er findet den Verlorengeglaubten in einer Plattenbausiedlung und bietet ihm an, in Vince’ ehemaliges Zimmer zu ziehen. Dort bekommt Ramón eines Nachts Besuch von Fremden. Wenig später ist er wieder verschwunden. Dass es diesmal ein Abschied für immer sein könnte, wird Kara bewusst, als er ihm bis nach Paris folgt, dort aber nur mehr eine Stadt in Aufruhr findet. Deniz Utlu erzählt in Gegen Morgen von einer tiefen Erschütterung und fragt, was uns ausmacht: das, was wir zurückgelassen haben, oder das, was vor uns liegt. In flirrenden Bildern spürt er den Versäumnissen und Potentialen eines Lebens nach sowie der Menschlichkeit, die da beginnt, wo wir nicht auf uns selbst, sondern auf andere achten.

 

Auszug

»Das Licht im Treppenhaus erlischt. Ich lehne mich gegen das Treppengeländer. Eine Stufe über mir liegt Ramón vor der Wohnungstür. Die Dunkelheit gehört den Geräuschen, den zuschlagenden Türen in den Wohnungen der Unbekannten, mit denen ich im selben Haus wohne, den Vögeln auf den Simsen der Hinterhausfenster, dem Bellen eines Hundes, dem fernen Klingeln eines Telefons. Von Ramón gehen keine Geräusche aus. Es ist umgekehrt: Er löscht sie. Etwas, das fällt, wenn er in der Nähe ist, fällt nahezu ohne Laut. Nicht, weil es keine Geräusche verursacht, sondern, weil sie in Ramón verschwinden. Niemand weiß, welches Schicksal den Geräuschen widerfährt, die in Ramón verschwunden sind. Klingen sie in ihm weiter, oder verstummen sie? Ich schaue zu dem Hügel vor meiner Wohnungstür, von der Dunkelheit der Etage hebt er sich kaum ab. Ramón ist nicht Klang, Ramón ist eine Verstummung.

Ramón. Meine Stimme hallt im Treppenhaus. Ramón, sage ich noch einmal. Endlich bewegt sich seine Daunenjacke. Seit wann bist du hier?, gähnt er. Ich gehe einen Schritt nach oben und reiche ihm die Hand.«

(…)

»Kennst du diese Momente?, hatte mich Ramón gefragt. Er meinte, so übersetze ich es mir jetzt, die Momente, in denen wir unserem anderen Sein begegnen, dem Sein, gegen das wir uns entschieden haben, als wir uns selbst wählten.«